der mond vergebens
Gedichte aus zehn Jahren
(1996-2006)
Rimbaud Lyrik-Taschenbuch Nr. 58
Rimbaud Verlag
ISBN-13: 978-3-89086-584-3
ISBN-10: 3-89086-584-4
15,- €
Pressestimmen:
"Mit scheinbar leichter Hand, dann wieder kühn - wie gegen den Widerstand der
Worte angeschrieben - lässt Leisten in seinen Gedichten eine verwundete Welt
entstehen, ein bewusst unvollständiges Puzzle des Lebens, zusammengehalten von
gestalterischer Kraft und sprachlicher Feinheit. - Unaufdringlich eindringlich, poetisch
und doch "handfest" kommen diese Gedichte daher und bieten der zerstückten Welt
buchstäblich Paroli."
Grit Schorn, Aachener Nachrichten
Auszüge:
JETZT erscheinen die augen
ausgewaschen vom letzten schnee,
das salz auf der zunge
land, eine ahnung von deiner haut.
wir schälen das jahr, du trägst
kerne in die erde des gartens.
in diesem bild ist auch deine farbe,
am rande der blüte, unsere haut,
das salz und die schrift, später
rückwärts gegen den staub gekehrt,
wo wir sie lesen können, tastend
in den senken von erde, zunge und haut,
mit ausgewaschenen augen.
© Rimbaud Verlag
sun, moon and stars
wir kennen einander schon,
lange bevor wir einander
begegnen. in einer dämmerung
am rande des sommers, vielleicht
zur zeit der letzten wärme, sehen
wir uns an aus augenwinkeln,
wo die sterne noch blind sind
vor licht, als hätten wir uns
schon immer gekannt: du und du,
und diese dunkle sprache dazwischen,
die jetzt niemand versteht außer uns,
sun, moon and stars, unsichtbar
verschlungene gestirne. und ich
lese mich in die nacht und lese
mich nur für uns und beginne mich
endlich zu verstehen: es heißt,
man soll sich kein bildnis machen.
ich brauche keines von dir.
ein augenblick von uns genügt
um uns zu verstehen. es dunkelt,
wir reden weiter, tiefer in die nacht,
und mehr noch drehen sich gestirne
umeinander. zeitenwende. wir atmen
die nacht und alle ungewissheit
darin. wir kennen einander schon.
© Rimbaud Verlag
tasten, worauf die buchstaben längst abgetragen sind
in ferne räume, wo sie von bildschirmen leuchten
in immer neuen variationen deiner worte,
die fremde augen wärmen und weiten, während
du weiterschreibst, blindlings wissend vor schmerz
und glück, zwischen trance und tränen die ganze nacht,
für die du zu müde bist, bis du davon erwachst,
im schatten des lichts, dass die bewegung deiner finger
all deine vielen facetten ins gegenüber schleift
und wieder zu dir zurück, wo du dich beginnen kannst,
tief unter den unsichtbaren zeichen, die sich dir zutragen,
leise und leicht, um dich hinüber ins freie zu tasten.
© Rimbaud Verlag
WENN WIR von einer sekunde
auf die andere durch einen plötzlichen
aufprall schrecklich auseinander-
gebrochen und in hohem bogen
durch die luft geschleudert
würden, dass nur noch fetzen
von uns blieben, nichts als
blutige fetzen, wüssten wir
für einen moment: es gibt keinen gott.
und dann wäre nichts mehr.
solange aber etwas ist, suchen
wir uns in der luft, lesen dunkle
zeichen in den wolken, psalmen
und schund, und suchen uns
daraus zusammenzusetzen,
was wir blindlings greifen können,
nichts als zerfetztes, blutiges
vielleicht, und nähen damit unheil-
bare wunden, in einem traum
von gott. solange nur etwas ist.
© Rimbaud Verlag